Seit mehr als acht Jahrzehnten gibt es in Heilbronn das Haus der Familie. Beate Bindereif-Mergel übernahm 2010 die Leitung und führt seither die Einrichtung mit Weitblick und Leidenschaft. „Frühe Bildung beginnt nicht erst im Kindergarten“, sagt sie. „Wir möchten bereits die werdenden Eltern dafür sensibilisieren.“
Die Wolken haben sich verzogen, die Sonne des Spätsommers lässt den Platz vor der Edisonstraße 25 leuchten. Wo früher die Strippen für die Bundesgartenschau gezogen worden sind, führt jetzt Beate Bindereif-Mergel mit ihrem Team eine traditionsreiche Institution in die Zukunft, deren Motto eigentlich schon fast alles sagt: „Auf den Anfang kommt es an.“
Anfänge können schwer sein. Manchmal ist es, als würde mit Schalldämpfern auf diese Gesellschaft eingewirkt. Man hört nicht, was da passiert, oder man will es nicht hören. Es dauert seine Zeit, bis die Dinge dann laut diskutiert und vielleicht auch verändert werden. Erst 50 Jahre ist es her, dass Frauen die Erlaubnis ihres Ehemannes benötigt haben, um arbeiten zu dürfen. Manches hat sich verändert und Einrichtungen wie das Haus der Familie haben daran auf ihre Art mitgewirkt, indem sie Menschen in ihrem Kern stärkten. Die gesellschaftliche Realität ist im steten Wandel. Frauen oder Männer sind nicht mehr aus Versorgungsgründen gezwungen, Partnerschaften weiterzuführen. Jedes fünfte Kind wächst mittlerweile in einer alleinerziehenden Familie auf.
Familie, das ist längst mehr als Vater, Mutter, Kind. Es gibt Einelternfamilien, Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien, soziale Elternschaft, Co-Elternschaft und die Klein- oder Kernfamilie. Familienbeziehungen beschränken sich nicht unbedingt auf einen Haushalt. Diversität zeigt sich auch darin, dass heute mehr als ein Viertel aller Kinder einen Migrationshintergrund hat.
Institutionen wie das Haus der Familie in Heilbronn, hervorgegangen aus einer ehemaligen Mütterschule, sind wie Seismografen, die früh gesellschaftliche Veränderungen spüren und mit ihren Programmen und Angeboten darauf eingehen. „Wir sind die Ersten, die Veränderung in Familien spüren, die zunehmend bunter werden“, sagt Beate Bindereif-Mergel.
Jahr für Jahr bietet das Haus der Familie, das seit 2019 finanziell von der Dieter Schwarz Stiftung unterstützt wird, ein stetig wachsendes Programm mit mehr als 700 Kursen und Veranstaltungen an. Ergänzt werden die Präsenzkurse in Heilbronn und den Außenstellen durch Onlineangebote. Mehr als 120 Lehrende arbeiten mit einem 17-köpfigen Team der Bildungseinrichtung zusammen. Mehr als 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzen in jedem Jahr die Angebote, deren Schwerpunkte auf dem Gelingen von Familie liegen, auf frühkindlicher Bildung, der Stärkung der Elternkompetenzen und der Hilfe zur Bewältigung des Alltags. Es gibt Vorträge und Seminare zu Erziehungsthemen, Kurse zu Gesundheit, Entspannung und Fitness sowie Angebote für Kinder und Jugendliche in den Bereichen Bildung, Kreativität und Freizeit. Der Treffpunkt Familie ist zudem ein quartiersnaher Ort für Bildung und Begegnung einer vielfältig zusammengesetzten Stadtbevölkerung. Besondere Projekte ergänzen das Programm, wie etwa die Teilnahme an den Frauen-Wirtschaftstagen.
Was das Leben von Beate Bindereif- Mergel betrifft, so stand es schon früh unter dem selbst auferlegten Anspruch, für die Menschen in ihrer Heimat da zu sein. „Ich war schon immer ein politischer Mensch“, sagt die 63-Jährige, die für eine Haltung steht und diese auch vertritt. „Die ersten 50 Jahre sind Text“, hat Arthur Schopenhauer einmal gesagt. „Der Rest ist Kommentar.“ Sie ist beim Kommentar angekommen und das tut der Einrichtung, der sie als Geschäftsführerin vorsteht, durchaus gut.
„Mich treiben hier die Möglichkeiten an, den sozialen Zusammenhang in dieser Gesellschaft zu fördern“, sagt sie. Bildung dürfe nicht vom Geldbeutel abhängen. „Unser Anspruch ist, möglichst viele Familien zu erreichen, und da sind wir auf einem guten Weg.“ Diesen Weg geht sie eigenständig. Sie brachte sich stets ein, dort, wo ihr das richtig erschien, und ging ihrer Berufung nach. Seit 2010 führt sie das Haus der Familie in Heilbronn. Das hat sich so ergeben. Die Stelle war ausgeschrieben, sie hatte das Gefühl, etwas Neues machen zu wollen. Dabei wollte sie eigentlich Journalistin werden. Die Zeitung lag im Hause Bindereif jeden Morgen auf dem Tisch und gehörte zur Pflichtlektüre. So etwas prägt. Nach dem Abitur am Theodor-Heuss-Gymnasium studierte sie an der Universität Mannheim Politische Wissenschaften und Recht. Es folgte ein Aufbaustudium Verwaltungswissenschaften an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer und ein Verwaltungsreferendariat beim Land Baden- Württemberg. Schließlich begann die Heilbronnerin ihren Berufsweg als Projektleiterin bei der Kommunalentwicklung Baden-Württemberg. 23 Jahre hat sie landauf und landab Kommunen rund um Stadtentwicklung und Stadterneuerung beraten. Dass ihr zwischenzeitlich der Mann fürs Leben eher zufällig im Rathaus ihrer Heimatstadt begegnet ist, ist eine dieser Geschichten, die das Leben schreibt. Wieder eine andere ist, dass sie nach der Geburt ihrer beiden Kinder selbst Kurse im Haus der Familie besucht hat und schon damals fand, dass diese Einrichtung zu Heilbronn gehört wie das Kleist’sche Käthchen. Inzwischen sind die Kinder erwachsen und das Haus der Familie geht neue Wege unter Beate Bindereif- Mergel, die mit ihrem Mann die Lust verbindet, in Heilbronn etwas zu bewegen. „Wir brennen beide für die Menschen in dieser Stadt“, sagt sie.
Familien in deren Alltag unterstützen, Eltern in Erziehungsfragen begleiten, Kinder in ihrer persönlichen Entwicklung voranbringen – dafür setzt sich das Haus der Familie in Heilbronn ein. Wie sehr sich die Anforderungen dabei verändern, wurde Beate Bindereif- Mergel neulich wieder einmal bei einem Online-Seminar bewusst, das sich mit dem Thema Hochsensibilität beschäftigte. Die Teilnehmenden saßen zeitgleich in Südtirol, in Friesland, in Nürnberg, im Landkreis und in der Kernstadt vor dem Computer. „Wir sind ein Haus, das für Präsenzangebote steht“, sagt die Geschäftsführerin.
Bildung, Beratung, Begegnung – das sind die drei B der Heilbronner Institution. Es geht darum, die richtige Mischung für die Familien zu finden, sie durch den gesellschaftlichen Wandel zu begleiten und die zentralen Themen der Zeit zu begreifen. Darin sieht sie ihre Aufgabe. Diese fängt an, wenn aus dem Paar eine Familie wird. Dabei bleibt es nicht. Ihr Haus setzt sich auch im Rahmen des Projekts „Lokales Gesundheitszentrum“ als Anlaufstelle für Familien zur geburtshilflichen Versorgung in Heilbronn für die Begleitung von Schwangeren ein. Eine weitere große Aufgabe ist das Projekt „Willkommen in Heilbronn – Baby, Besuch für Dich“. Eigens geschulte Mitarbeiterinnen besuchen seit Juni 2021 Neugeborene und informieren deren Eltern in verschiedenen Sprachen zielgerichtet über Angebote für das 1. Lebensjahr. Ein weiterer Baustein der frühkindlichen Bildung, wie es das Haus der Familie versteht.
Ganz im Zeichen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf stehen die betrieblichen Ferienbetreuungen für namhafte Firmen aus der Region. Mehr als 700 Kinder nutzen jährlich dieses Angebot. Während die Eltern arbeiten, deren Urlaubstage nicht reichen, sind die Kleinen bestens versorgt. Zwölf Wochen Ferien stehen nicht selten sechs Wochen Urlaub gegenüber. „Unser Angebot ist durchaus ein weicher Standortfaktor für Heilbronn“, sagt die Managerin in Beate Bindereif-Mergel.
Die Kernaufgabe der Einrichtung ist freilich geblieben: Mütter und Väter zu stärken. Heute sei es wichtiger denn je, meint sie, Eltern die Angst zu nehmen, nicht zu genügen. Vor allem übers Internet werde Druck gemacht auf die Erziehenden, jede Regung des Kindes werde bewertet und eingeordnet. „Die Verunsicherung nimmt immer mehr zu“, sagt Beate Bindereif-Mergel.
Sie selbst ist vor Ort eine Art Fels in der Brandung. Mit ihrer Erfahrung strahlt sie Ruhe aus. Aufzutanken vermag sie in der Kunst, die für sie eine Art Nabelschnur ist, die sie mit Energie und Esprit versorgt. Beate Bindereif-Mergel geht gerne in Ausstellungen, wovon ein Bild des Heilbronner Künstlers Peter Riek zeugt, das in ihrem Büro hängt. Sie mag das Theater und Konzerte und freut sich darüber, dass es seit 2020 ein Literaturhaus im Trappenseeschlösschen gibt. Nebenbei genießt sie es, Freunde zu treffen und sich auszutauschen über die Stadt, an der in vielerlei Hinsicht ihr Herz hängt. „Es ist mir ein Anliegen, Eltern hier zu befähigen, ihre Kinder zu stärken“, sagt sie. „Diese Arbeit erfüllt mich ungemein.